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Absolutistische Macht und barocke Sinnesfreuden

von Wolfgang Wiedenhöfer

Während die Waiblinger dabei waren, die Verheerungen des Dreißigjährigen Kriegs zu beseitigen und ihre zerstörte Stadt wieder aufzubauen, entstand nur wenig Kilometer nordwestlich ein Bauvorhaben, das im Süddeutschland ohnegleichen war. Mitten auf freiem Feld setzte der Herzog, in ganz und gar absolutistischem Herrschaftsverständnis, eine der größten und prächtigsten barocken Schlossanlagen Europas.

Er war einer der schillerndsten Herrscher Württembergs, seine politischen Erfolge sind umstritten und populär wurde er nur durch seine barocke Prunksucht und sein spektakuläres Liebesleben: Herzog Eberhard Ludwig. Als sein Vater, Herzog Wilhelm Ludwig, 1677 erst dreißigjährig überraschend an einem Schlaganfall starb, war Eberhard Ludwigs gerade ein Jahr alt. Aufgewachsen ist der Thronerbe unter der spannungsgeladenen Doppelvormundschaft seiner strenggläubigen Mutter, der Herzoginwitwe Magdalena Sibylla, und seines Onkels, des im Volk unbeliebten vergnügungssüchtigen Lebemannes Prinzregent Friedrich Carl von Württemberg-Winnental. Die ständige Uneinigkeit in Erziehungsfragen der beiden Parteien prägte die Jungend des Prinzen. 1693 kam er, erst 16 Jährig, durch einen von seiner Mutter klug eingefädelten Putsch gegen die Partei Friedrich Carls an die Macht.

Abb: Donato Giuseppe Frisoni (1683 - 1735): Ansicht von Schloß Ludwigsburg.
Foto: H. Zwietasch © Landesmuseum Württemberg, Stuttgart (2013)

Ursprünglich plante Herzog Eberhard Ludwig auf dem, im pfälzischen Erbfolgekrieg von französischen Truppen zerstörten, Erlachhof nur ein Lustschloss zum Jagd- und Sommeraufenthalt. Nach dem Beispiel anderer Fürsten und der absolutistischen Ansicht, die Gründung von Städten lasse so recht die Macht des Herrschers erkennen, entschied sich der württembergische Regent dann dafür, dem 1704 begonnenen Schloss eine Stadt anzugliedern, Bauplätze und Baumaterial vergab er kostenlos. Außerdem gewährte er für die Neuansiedler 15 Jahre Steuerfreiheit. Was mit der Idee für ein kleines Landschlösschens mit 11 Zimmern begann, sollte sich binnen kürzester Zeit zu einem gigantischen Bauprojekt auswachsen, das Mittel und Zweck der Verlegung des höfischen Lebensmittelpunktes des Herzogs, weg von Stuttgart, wurde. Was war geschehen?

Im Mai 1697 wurde mit großem Pomp die Hochzeit Eberhard Ludwigs mit Prinzessin Johanna Elisabetha, der Tochter des Markgrafen von Baden, gefeiert. Herzog Eberhard Ludwig gibt von Anfang klar zu verstehen, dass diese Verbindung, eingefädelt von den Eltern der Braut und der Mutter des Bräutigams mit dem Ziel, die Verbindung der beiden nachbarschaftlichen Herrschergeschlechter zu vertiefen, eine rein Zweckmäßige sei. Nach erfolgreicher Zeugung eines Thronfolgers unmittelbar nach der Hochzeit sah er sich deswegen auch keinerlei weiteren ehelichen Pflichten schuldig. So war es nur eine Frage der Zeit, bis die Ehe des Herzogspaares faktisch nur noch auf dem Papier bestand und der Eberhard Ludwigs ausgeprägter Drang zu Seitensprüngen zu einer Verbdingung führte, die weitreichende politische Folgen tragen und das Land an den Rand einer Staatskrise führen sollte: die ‚Affäre Grävenitz‘. Christina Wilhelmina Friederike von Gräventiz, Schwester des herzoglichen Kammerjunkers, zarte 20 Jahre jung, bildhübsch und gebildet, trat 1706 mit großer Robe anlässlich einer Theateraufführung ins Stuttgarter Rampenlicht und ins Leben Herzog Eberhard Ludwigs – und das beileibe nicht zufällig. Der Württembergische Hofadel hatte schnell erkannt, dass der Regent offenbar leicht zu beeinflussend war und schmiedete zur Sicherung der eigenen Machtposition am Hof den Plan, eine Mätressen ins Umfeld des Herrschers respektive direkt in dessen einsames Bett einzuschleusen um so die Fäden am Hof in der Hand zu behalten. Was als eher unverbindliches Komplott angelegt war lief dem Hofadel aber gehörig aus dem Ruder. Die Liebelei entwickelte sich zu einer aufrichtigen und fast ein Vierteljahrhundert währenden Verbindung zwischen Eberhard Ludwig und Wilhelmine – die im Zuge dieser Alliance nicht nur zu einer der reichsten und mächtigsten Frauen Württembergs sondern auch zur „Reichsgräfin von Urach“ und offiziellen Zweitfrau des Herzogs aufstieg. Schließlich musste sogar der Kaiser in Wien angesichts der offen praktizierten Bigamie des Württembergischen Herzogs einschreiten und diesen zur Raison rufen, was zu einer Annullierung der Doppelehe mit der im Volk gänzlich unbeliebten „Landverderberin“ Grävenitz führte. Erst 1731 verlor sie Macht und Einfluss im Land, als der Herzog kleinlaut zu seiner ersten Frau Johanna Elisabetha zurückkehrte. Nach dem frühen Tod des Thronfolgers und einzigen Sohne sollte durch Zeugung eines weiteren Stammhalters den Fortbestand der Dynastie gesichert werden, was aber, wohl aufgrund des fortgeschrittenen Alters des Herzogspaares, nicht mehr glückte.

Abb. Header: Stadtansicht um 1700, Quelle: Archiv der Stadt Waiblingen