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Soldaten im auffälligen grün goldenen Uniformrock, auf dem Kopf eine mächtige Kaskette mit tiefschwarzem Rosshaarschweif, bevölkern die Waiblinger Gassen. Auf dem Platz vor dem ehemaligen Schloss schnauben aufgeregte Pferde. Im Oberamtshaus in der Kurzen Straße, dort, wo das Offizierskasino eingerichtet ist, zeigt sich geschäftiges Kommen und Gehen mit Depeschen aus Stuttgart. So oder so ähnlich könnte es zugegangen sein in Waiblingen des Jahres 1813, als die Oberamtsstadt vor den Toren Stuttgarts Garnisonsstadt geworden war.

Uniform des Jägerregiments zu Pferd Nr. 3 Herzog Louis um 1813; aus:
"Geschichte des württ. Kriegswesens", Leo von Stadlinger, Stuttgart (1856)

Vom 3. Februar 1813 an war eine Schwadron des „Jäger Regiments zu Pferd Herzog Louis Nr. 3“ in Waiblingen einquartiert. In Winnenden und Esslingen lagen weitere Truppenteile des Regiments. Doch die Soldatenherrlichkeit in Waiblingen währte nur kurz: bereits am 25. Juni 1814 wurde die Garnison nach Ulm verlegt.

Wo genau die Unterkunft der Soldaten in Waiblingen war, ist nicht belegt. E. Fleck, der in den 1940er Jahren für das Stuttgarter Heeresarchiv eine Aufstellung der württembergischen Garnisonsstädte von 1798 bis 1817 erstellt, vermutet die Kaserne im Gebäude Marktplatz 1, dem großen Fachwerkhaus mit dem auffälligen Erker. Der damalige Stadtarchivar Erich Rummel widerspricht in einem im Stuttgarter Staatsarchiv erhaltenen Briefwechsel Flecks Theorie: Rummel verortet die Kaserne eher im mittlerweile abgerissenen Gebäude Kurze Straße 187, dem 'Großen Kasten' auf dem ehemaligen Schlossgelände, ungefähr dort wo 1959 das neue Rathaus und der Anbau mit dem Sitzungssaal des Gemeinderats erbaut wurden.

Der Anblick von Militär auf den Straßen Soldaten gehörten seit vielen Jahren zum Alltag der Menschen in den württembergischen Städten. Süddeutschland war außenpolitisch über viele Jahre nicht zu Ruhe gekommen. Noch bis in die Mitte des 19. Jahrhunderts, im sogenannten Zeitalter der „Kabinettskriege“, waren militärische Einsätze vom Schreibtisch der Verwaltungsstuben der absolutistischen Herrscher sozusagen unter Ausschluß und ohne Beteiligung der Öffentlichkeit koordiniert worden. Mit den Volks- und Befreiungskriegen des ausgehenden 18. und beginnenden 19. Jahrhunderts änderte sich dies: das kleine Württemberg war im Kampf der Großmächte Frankreich, Preußen und dem alten Habsburgerreich um die Vormachtstellung in Europa zwischen die Fronten geraten und zum ständigen Auf- und Durchmarschplatz von französischen und alliierten Truppen geworden.

Was dieser, über eine Epoche von 25 Jahren dauernde, ständige Kriegszustand für die Bevölkerung bedeutete, ist nur schwer vorstellbar und sicherlich bar jeder heutigen Militärromantik - fielen die Soldaten doch oft wie Heuschrecken über die Region her, mussten untergebracht und verköstigt werden, waren verantwortlich für Hungersnot, hohe Steuerlasten und Teuerung. Unerträglich waren die ständigen Einquartierungen und Beschlagnahmungen von Lebensmitteln oder Pferden, zumal auf die zustehende Entschädigung durch staatliche Stellen oft lange gewertet werden musste. Auch kleine, oft nur wenige tausend Einwohner zählende Städte in Württemberg mussten nicht selten mehrere zehntausend Soldaten in wenigen Monaten versorgen. Auf Befehl des königlichen Quartieramtes mussten die die Soldaten in Privathaushalten untergebracht und Verköstigt, gegebenenfalls auch die zugehörigen Pferde mitversorgt werden. Zurück blieben geleerte Magazine, verheerten Felder und beschädigte Häuser. Die anfallenden Kosten wurden, zumindest was die Unterbringung und Versorgung anging, auf schriftlichen Antrag erstattet: Im Staatsarchiv ist unter dem sperrigen Titel „Quartiersbonifikations Consignation“ die ein dicker Foliant erhalten, in dem die Abrechnung der zu Aufwendungen für die Zwangseinquartierungen aus den Jahren 1814/15 in Waiblingen zusammengestellt ist. Detailliert sind hier auf fast 500 handbeschriebenen Seiten die Kosten für die Unterbringung der Truppen durch die Bevölkerung des Amts Waiblingen aufgelistet. So rechnet z.B. ein T. Münzer am 25, Juni 1814 „8 Porcionen a 12, 1 Buttel Branntwein 24, Ein Laible Brot 6 = Suma 2 6“ ab. Insgesamt wird Stuttgart die beachtliche Summe von 15.460 also in Rechnung gestellt (siehe Abbildung).

Seite der Quartiersbonifikationskonsignation von 1814/15;
HStA F 210 11 Bü 1080 (Vorlage und Aufnahme: Staatsarchiv Ludwigsburg)

Dem ausgezehrten Land fehlte die Arbeitskraft einer ganzen Generation von jungen Männern, die für die Beseitigung dieser Schäden dringend gebraucht worden wäre: über 70.000 badische und württembergische Soldaten wurden in den Jahren bis 1814 eingezogen, von den 16.000 Württembergern, die mit Napoleon gegen Rußland ins Feld zogen kehrten nur ein paar hundert zurück.

Louis Lejeune (1775-1848): Die Schlacht von Borodino, 1812

Nur langsam erholte sich das Land von den immensen Schulden, die die langen Kriegsjahre hinterlassen hatten. Das Trauma in der Bevölkerung durch die jahrzehntelange Hilflosigkeit gegenüber der Willkür der Militärs wirkte lange nach, und die katastrophalen Missernten und Hungerjahre von 1816/17 taten ihr Übriges. Doch das Blatt wendete sich zum Guten: unter König Wilhelm I. begann eine lange Zeit des Friedens, der innenpolitischen Stabilität und des wirtschaftlichen Aufschwungs für Württemberg.

Abb. Header: Unbekannter Künstler, Ansicht von Waiblingen (um 1825), Federlithografie; Bestand Archiv der Stadt Waiblingen