Skip to main content

Übergangsfragen (König Wilhelm II. von Württemberg, 1848-1921)

Von Wolfgang Wiedenhöfer
 

Er galt als bescheiden und sozial, war liberaler Fürsprecher seines Volkes der vielleicht beliebteste König des ausgehenden Kaiserreichs: Wilhelm II, König von Württemberg, Namensvetter des Kaisers im fernen Berlin. Wenn auch beide, Kaiser Wilhelm und König Wilhelm von Württemberg ungefähr die gleiche Regierungsepoche, die drei letzten Jahrzehnte im monarchistischen Deutschland, repräsentierten, so hätten sie doch in ih-rem politischen Selbstverständnis unterschiedlicher nicht sein können: Während sich Wilhelm, der Preuße, als machthungriger und, von absolu-tistischen Herrschaftsideen besessener, geltungssüchtiger Monarch gab, galt Wilhelm, der Württemberger, seinen Bürgern als beliebter und volks-naher, besonnener König. Der württembergische Politiker Conrad Haus-mann beschrieb ihn als den „demokratischten König in Deutschland“.

Noch heute werden gerne Geschichten erzählt, wie die Einwohner Stutt-garts ihrem Monarchen beim Spaziergang mit seinen Hunden (zwei Spit-zen, den „Königsspitzern“), mit den Worten: „Grüß Gott, Herr König“, be-gegneten und Wilhelm II. als Erwiderung seinen Hut zog und den Kindern Süßigkeiten zusteckte. Und so soll es auch keine Seltenheit gewesen sein, dass Kinder den König direkt nach den Leckereien fragten: „Keenich, hoscht mer nex?“.

Diese Volksnähe mag schon in seiner Erziehung begründet sein. Seine Mutter, Katharina von Württemberg, war Tochter von König Wilhelm I. und Schwester des zukünftigen Königs, Kronprinz Carl von Württemberg. Der Vater war ebenfalls ein Prinz aus dem Hause Württemberg, Neffe des regierenden Königs - derartige Vermählungen innerhalb einer dynasti-schen Familie waren für die damalige Zeit nichts Besonderes. Den beiden Eltern war es wichtig, dass ihr Sohn sowohl in der Schule als auch in sei-ner Freizeit mit gleichaltrigen Söhnen aus bürgerlichen Familien zusam-menkam. Sogar eine Schreiner- und eine Buchbinderwerkstatt wurden eigens für den jugendlichen Prinzen im Schloss der Eltern eingerichtet um ihn auch in handwerklichen Fähigkeiten zu unterrichten.

Kurze Zeit nach dem Tod seines Großvaters im Jahr 1864 und der Regie-rungsübernahme durch seinen Onkel, König Karl I. von Württemberg, kehrte der junge Prinz Wilhelm Stuttgart den Rücken und studierte in Tü-bingen. Die Freundschaften, die er in diesen Tagen mit seinen, meist bür-gerlichen, Kommilitonen schloss, pflegte Wilhelm bis ins hohe Alter.

König Karls Regierungszeit war geprägt durch den Bedeutungsverlust der Württembergischen Krone nach der Gründung des Kaiserreichs – alles hatte sich nun Preußen unterzuordnen, das neue politische Machtzentrum war Berlin. Karl selbst galt als depressiv, war an den Regierungsgeschäften uninteressiert und unbeliebt bei der Bevölkerung. So lag, als Karl 1891 kinderlos starb, das Ansehen der Monarchie in Württemberg am Boden und Wilhelm trat ein schweres Erbe an.

Wilhelm II. von Württemberg, Porträt in Öl von H. Michaelis (1878)

Mit seiner volkstümlichen und warmherzigen Art, seiner raschen Auffas-sungsgabe und einem pflichtbewussten, von hoher Sachkompetenz ge-prägten Regierungsstil gewann der junge König schnell die Herzen der Württemberger. Wilhelm II. förderte in gleicher Weise Wirtschaft, bilden-de Kunst, Architektur, Theater, Schulwesen und Wissenschaft. In seiner Regierungszeit wurde das allmählich zum Industrieland aufsteigende Württemberg zum industriellen „Musterlände“, dem Geburtsort des Autos und des Luftschiffs. Das bis dahin eher als verschlafen verrufene Residenzstadt Stuttgart wurde zu einer pulsierenden Metropole, hier fanden ein Vielzahl von Kongressen und großen Kulturveranstaltungen statt. Auch der politischen Entwicklung im Kaiserreich stand Wilhelm II. mit einer liberalen Haltung gegenüber, so konnte im Jahr 1907 der Internationale Sozialisten-Kongress, der einzige dieser Art im Deutschen Reich, in der Stuttgarter Liederhalle tagen, zusammen mit der ersten internationalen Frauenkonferenz.

Die allgemeine Euphorie beim Ausbruch des Ersten Weltkriegs teilte König Wilhelm II. nicht. Der sich im Herbst 1918 abzeichnende militärische Zu-sammenbruch erfüllte ihn erst recht mit großer Sorge. Mit dem Sturz der Monarchie rechnete er aber nicht. Als die revolutionären Kräfte in Stutt-gart die Oberhand gewannen, wurden Wilhelm II. und seine Gattin, Königin Olga, am Abend des 9. November 1914 unter dem Schutz der provisorischen republikanischen Regierung nach Bebenhausen in Sicherheit gebracht. Der König räumte den Thron ohne Groll, aber die demütigende Tatsache, dass beiden an diesem Tag schutzlos den aufgeheizten Menschenmassen ausgeliefert waren und Demonstranten sogar ungehindert in das Wilhelmspalais, seinen Stuttgarter Wohnsitz, eindringen und dort die Königsstandardarte gegen eine rote Fahne austauschen konnten, hat Wilhelm den Stuttgartern nie so ganz verziehen, bis zu seinem Tode kehrte nie mehr in die Stadt zurück. Von Bebenhausen aus erklärte er, ohne von den neuen Machthabern dazu gezwungen worden zu sein, am 30. November 1918 seine Abdankung.

Auch nachdem auf die Krone verzichtet hatte, nahmen die Württemberger noch regen Anteil am Leben ihres ehemaligen Königs. Wilhelm, der er sich nun „Herzog von Württemberg“ nannte und vom Hauptdarsteller zum Statisten degradiert worden war, beobachtete misstrauisch aber distanziert die weitere politische Entwicklung im parlamentarischen Württemberg und der Weimarer Republik. Der ‚Schwäbische Merkur‘ würdigte Wilhelm II. zu seinem Tode am 2. Oktober 1921 in einem Nachruf als „einen der fähigsten und besten Fürsten, die das Schwabenland besessen habe“.

Abb. Header: Felger, Friedrich, 'Sommertag bei den Kiesgärten' (1910); Bestand Archiv der Stadt Waiblingen